Hat die Motte ein Geheimnis?
„Motte Geheimnis“ gegoogelt bringt schon einiges zu Tage, sehr wohl ist eine Motte in verschiedene Geheimnisse verwickelt, aber immer ist gemeint:
der in erstaunlich vielen Formen, Farben und Größen bei Licht und Dunkelheit herumflatternde Falter
Kein einziger Zusammenhang zwischen Geheimnis und unserem „MOTTE“ genannten Hügel im Zubend an der Erft ist zu finden.
Überhaupt Geheimnis, was könnte der Hügel verbergen? Ein Geheimrezept für „Fitschebunnetaat“ oder den Eingang zu einem geheimen Gang zum nächsten Damenstift, vielleicht sogar einen Schatz oder ein Dokument, welches die Geschichtsschreibung der Vergangenheit „völlig in Frage stellt“, wie ja gerne beim Auftauchen irgendeines alten Knochens zunächst geheimnistuerisch orakelt wird.
Ich gebe zu, unsere Motte mit Geheimnis zu verbinden ist ein wenig Werbegag. Dann wird es spannender. Auf den Trick sind wir schon bei den Stories von Erich von Däniken reingefallen. Wer weiß, vielleicht ist ja doch was dran, an der Motte, meine ich.
Nachgeschaut im Hügel und in den Gräben hat bis jetzt noch keiner, jedenfalls ist keine Erforschung und Grabung dokumentiert.
Motte Helpenstein
Aktuell ist die Vermessung oder Neuvermessung archäologischer Denkmäler im Rheinland durch Walter Janssen und Klaus Grewe von 1978. Dies ist dokumentiert in einem Sonderheft „Das Rheinische Landesmuseum Bonn“ Januar 1979.
Wir lesen:
- Die Motte Fusseberg bei Gut Hombroich
- Die Motte Helpenstein
- Die Motte Gubisrath
- Haus Neuenberg bei Rosellen
- Die Motte Flaßrath bei Jüchen
- Haus Neuenhoven
- Haus Rädt in Korschenbroich
- Alt Höveler Hof bei Anstel
- Haus Busch in Wevelinghoven
- „Altes Schloß“ in Wevelinghoven
- Befestigung im Zubend, Motte Wevelinghoven
Die Wevelinghovener Motte wollen wir markieren und deshalb heute noch einmal näher drauf schauen.
Diese Art der Wehranlage ist in Westeuropa zunächst im westlichen Frankenreich aufgekommen, in der westfränkischen Sprache, heute in Französisch, ist „la motte“ ein Erdklumpen, Erdhaufen. Daher wohl der Name für den Erdhaufen, der zum Burghügel und damit zur Wehranlage wurde.
In unserem Dialekt kommt der Wortstamm im „motterehoof“, dem Maulwurfhaufen vor.
Zeichnerische Rekonstruktion einer Motte
Der eben bereits erwähnte Professor Janssen veröffentlicht 1985 die Schrift „Burgen, Festungen und Hofesfesten im Kreis Neuss“. Zur Motte Wevelinghoven stellt er fest, dass es „bis heute keine archäologischen Erkenntnisse“ und „keinen sicheren Beweis für die historische Funktion des Hügels“ gibt. Die gleichförmige Kegelform lässt ihn an der Motte zweifeln, gleichwohl konstatiert er „die topographische Lage entspricht allerdings den Motten im Erfttal“.
Letztere Aussage in Verbindung mit anderen Zusammenhängen lassen uns jedoch von einer mittelalterlichen Motte ausgehen. Da ist zum Beispiel die Lage beziehungsweise Distanz von heute noch im Gelände erkennbaren Begrenzungen, wahrscheinlich Gräben, zum Burghügel. Unter Berücksichtigung der vor 1000 Jahren verfügbaren Distanzwaffen ist die Entfernung für einen gezielten und wirkungsvollen Pfeilschuss zu erörtern.
Es machte nämlich durchaus Sinn, sich die Schüsse der Bogenschützen mit einer entsprechenden Distanz zwischen Burg und Vorburg im wahrsten Sinne vom Leib, bei Brandpfeilen von Holz ‑und Strohdach zu halten.
Es ist nicht zu bezweifeln, dass die noch erkennbaren Gräben durch Verbindung zur Erft Wasser führten oder bei Bedarf geflutet werden konnten. Der Fluss und die von ihm gespeisten Gräben sind ein weiteres Indiz für den befestigten Siedlungsplatz. Der befestigte Platz liegt also bewusst in der Fluss Niederung, um die beschützende Funktion der Wasserläufe zu nutzen.
Ansonsten siedelte man sozusagen nah am Lebenselixier Wasser aber trockenen Fußes auf der Höhe der „Brüsseler Lößplatte“, die sich von Flandern bis Magdeburg zieht und durch urzeitliche Stürme aus ausgetrockneten Meeresflächen hierhin geweht worden ist.
Sie liegt bei uns rechts der Erft über die Gillbach hinaus bis zur Bruchkante der Erftscholle zum Rheintal, heute Verlauf der B 477. Annähernd drei Kilometer lang ist die Wevelinghovener Ansiedlung auf der Lößplatte oberhalb der Erft von der heutigen Römerstraße bis zur Krumme.
Eine weitere Begründung für eine nach dem Standard der Zeit gesicherte Siedlung Wevelinghoven ergibt sich aus Urkunden spätestens im 11. Jahrhundert, dazu kommen wir etwas später.
Ab dem 10. Jahrhundert setzt in den Frankenreichen eine umfangreiche Befestigung von vorhandenen Ansiedlungen und später auch der Bau von „festen“ Häusern und Burgen ein. Was war die Ursache?
Dazu müssen wir noch einmal weitere 1000 Jahre zurückschauen. Das Römische Imperium zieht sich nach der verlorenen Schlacht im oder am oder um den Teutoburger Wald ab dem Jahr 09 auf den Rhein als Limes zurück, jedenfalls am Mittel- und Niederrhein.
Den Schutz dieser Grenze, des Limes Rhein, gewährleisten verschiedene Militärstützpunkte unterschiedlicher Größe und Funktion. Das „Legionslager bei Neuss“ haben wir im Modell besichtigt, Nijmwegen, Xanten, Dormagen, Köln, Bonn in unserer nächsten Nachbarschaft seien erwähnt. Von diesen Punkten gibt es die Straßenverbindungen bis an die Atlantikküste. Große Städte liegen dazwischen, auch in deren Nähe Garnisonen und dazu sogar Stadtmauern wie zum Beispiel vier Kilometer um Tongeren/Belgien, Provinz Limburg und die imposante Porta Nigra in Trier.
Stadtmauer um Tongeren
Modell der Porta Nigra in Trier
Diese Bauwerke sind zur Zeit des römischen Imperiums eigentlich nicht erforderlich gewesen, sie sind wohl auch eher Traditionen geschuldet und sollten Macht und Stärke demonstrieren. In Merowingischer und Fränkischer Zeit scheinen Wehrbauten fast ein Zeichen der Schwäche zu bedeuten, man grenzt seinen Besitz zwar erkennbar ab, aber so, dass man Bedeutung und Reichtum der Mächtigen und der Gruppen sehr wohl aller Welt demonstrieren kann, also, dass man reinschauen kann.
Karl der Große organisiert das fränkische-karolingische Reich in Gauen, diese werden von den Gaugrafen verwaltet und durch ihre Truppen beschützt. Die bei den Kaiserenkeln Karl, Lothar und Ludwig beginnenden Reichsteilungen dürften die Treue und Zuverlässigkeit der Gaugrafen und damit der nachgeordneten Vasallen beeinträchtigt haben. Festungsbau ist aber immer noch Königsrecht.
Mit Beginn der Normanneneinfälle versuchten sich einzelne Vasallen vor allem in Küstennähe mit dem Bau von Wehranlagen zu schützen. „Das ist Sache des Königs“, also seine Sache, signalisiert Karl der Kahle 864 mit dem Edikt von Pitres.
Das königliche Monopol kann jedoch schon bald die Sicherheit in den Gauen nicht mehr gewährleisten. Äußere Feinde wie die Normannen und ebenso innerer Verfall des Zusammenhalts in den Königreichen sind eindeutig und auch gleichermaßen die Hauptursachen.
Schon Ende des 9. Jahrhunderts legen Grafen, Bischöfe und Äbte zunächst in Nordseenähe, dann auch in den Gebieten um die von den Normannen für ihre Beutezüge genutzten Flüsse Fliehburgen an. Auch die Curtis, Wirtschaftshöfe der Bauern und Herren, werden von Wehranlagen umgeben.
Ein oft in Form einer liegenden Acht angelegtes und mit Gräben umgebenes Areal teilt die Güter in einen Bereich für Aula, Camera (Herrenwohnung), Waffenlager etc. und in einen anderen Bereich für Stallungen und Wirtschaftsgebäude. Anfangs dürften beispielsweise eher agrarische und organisatorische Funktionen Form und Ausbau der Anlagen bestimmen. Das wird auch für Wevelinghoven anzunehmen sein.
Die tatsächliche oder mögliche Bedrohung von außen aber auch Zwistigkeiten in der Region in Verbindung mit dem unaufhaltsamen Verfall der Zentralmacht führen im 10. bis 12. Jahrhundert sprunghaft zum Ausbau der Siedlungsplätze als Wehranlage. Die sind hierzulande in den Niederungen oft Motte mit Turm und durch Palisaden begleitete Gräben.
Die lokalen Dynastien befestigen ihre Stammsitze, so die von Geldern, von Heinsberg, von Kessel, von Limburg, von Wassenberg und andere. Wevelinghoven darf man durchaus in dieser Reihe nennen. Das Haus hat noch fast 400 Jahre stetige Entwicklung und Zuwachs an Bedeutung vor sich. Einige Herren wie die von Brabant, Geldern, Jülich, Kleve, Limburg, Loon festigen mit oder ohne Hilfe der mächtigen Bischöfe von Köln, Lüttich und Utrecht den territorialen Status ihrer Besitztümer auch durch den Bau von weiteren Burgen und Wehranlagen.
Nachbau einer Motte mit Dorf
Wie schon gesagt, darf man Wevelinghoven in dieser Zeit zu den regionalen Akteuren zählen, deren Bedeutung bis in das 15. Jahrhundert durchaus respektabel ist. Sich den Machtbestrebungen des Erzbistums Köln zu entziehen, war angesichts der Größenverhältnisse kaum möglich. Es ist schon erstaunlich, wie lange Wevelinghoven dennoch als Freie Herrschaft genannt wird.
Der Erzbischof von Köln nimmt 1096 seine Befugnis und wohl auch seinen Auftrag als Reichsfürst wahr, den unter seinem Schutz stehenden Juden vor marodierenden Banden im Umfeld der Ritterheere des ersten Kreuzzuges zu schützen. Er weist ihnen Wevelinghoven neben Xanten, Geldern, Neuss, Eller, Meerbusch und Moers als sicheren Ort zu. Damit haben wir 1096 eine nachweisliche urkundliche Erwähnung Wevelinghovens.
Aus der Bezeichnung „sicherer Ort“ darf man zumindest eine in gewissem Maß verteidigungsfähige Siedlung annehmen. Die liegende Acht, darin das zugrundeliegende Ei, das OVA, ist wohl schon dagewesen. Übrigens deutet ja auch diese ursprünglich nicht kreisrunde, sondern ovale oder eiförmige Siedlungsanlage auf fränkische Zeit hin, das „Ei-Ova-“ wird zur Siedlungskennzeichnung „-hoven“. Die Ortsnamen mit der Endung „-hoven“ sind nicht nur in unserem Raum häufig und auf fränkischen Ursprung zurückzuführen.
Professor Janssen wundert sich übrigens, dass hier noch kein fränkisches Gräberfeld gefunden wurde. Also, die liegende Acht war da und wenn es stimmt, dass die Anlage von Mottenhügel und Turm ab dem 10. Jahrhundert Konjunktur hat, habe ich kein schlechtes Gewissen, bis zum Beweis des Gegenteils anzunehmen, daß 1096 die Motte da war oder mit ihrem Bau begonnen war.
Mag der Ort vermeintlich sicher gewesen sein, die Mörderbanden spürten den Schutz suchenden jüdischen Menschen auf. Die Kunde kam von anderen Orten nach Wevelinghoven. Daraufhin entschieden sich die hierhin geflohenen Juden für den Freitod. Das ist wohl erschütternde Wahrheit.
Ein Findling als Gedenkstein am Fuß der Motte neben der Erft erinnert an das tragische Geschehen. 1996 hat der Bürger-Schützen-Verein Wevelinghoven e.V. damit ein Ereignis von vor 900 Jahren markiert.
Heute ist der Burghügel mit einer Höhe von etwa acht Metern über dem Wiesengrund der Erftaue, einem Grunddurchmesser von 35 Metern und einem oberen Plateau von etwa acht Metern Durchmesser unter der Nummer 8 in der Denkmalliste der Stadt Grevenbroich als Bodendenkmal/Burgwüstung eingetragen.
Der aus dem vorigen Jahrhundert stammende Pavillon auf dem Hügel, von Marlies Wassermann im Gedicht „Dat Jeisterhüsje“ verewigt, ist Baudenkmal 146 und die alten Linden auf dem Hügel sind beim Rhein-Kreis Neuss im Landschaftsplan VI Grevenbroich-Rommerskirchen als Naturdenkmal markiert (Mir ist es noch heute Ehre und Vergnügen, auf der politischen Bank an der Vorbereitung, Beratung und Beschlussfassung zu diesem Landschaftsplan dabei gewesen zu sein).
Ein befreundeter Handwerksmeister aus dem Ort, der schon diverse Arbeiten zur Sicherung und Instandhaltung an diesem Pavillon durchgeführt hat, gab mir einen interessanten Hinweis: Der mindestens sechzig bis siebzig Jahre alte Estrichboden im Pavillon weist keine Risse auf. Daraus könnte man schließen, dass sich unter dem Estrich ein stabiles Fundament befindet.
Hier erwägen wir, dass ein besonders tragfähiges Fundament bei einem relativ leichten Gebäude wie einem Gartenpavillon höchst ungewöhnlich, ja sogar Verschwendung wäre. Also schlossen wir nicht aus, dass sich unter dem Pavillon im Hügel ein älteres Fundament, vielleicht ein Steinturm befinden könnte.
Bekanntlich wurde beim Bau der Mottenburgen nicht selten auch so verfahren, dass zunächst ein Steinturm angelegt wurde und dieser dann von außen angefüllt „eingemottet“ wurde. Die ziemlich gleichmäßige Kegelform des Mottenhügels, für Professor Janssen ein Grund zu Zweifeln an der Mottenechtheit, könnte eben aus dem Verfahren — erst Turm dann Hügel — entstanden sein. Bei dieser Bauweise sollte eine Unterminierung des Hügels durch Belagerer vermieden werden.
Etliche Mottenhügel sind archäologisch erforscht. Bekannt aus unserer Heimat ist der Huhster Knupp, der Hochstadener Hügel in Frimmersdorf. Diese Anlage wurde vor der Braunkohle erschlossen und dokumentiert.
Jetzt wollen wir, wie schon bei der Jahreshauptversammlung 2016 zur Kenntnis gebracht, die Motte Wevelinghoven markieren. Die Gestaltung macht Nikolai Dohlen, die Texte verfasst Theo Hoer. Die Augustinus-Gruppe plant für das St. Martinus-Stift mit und wir tragen die Kosten somit auf mehreren Schultern.
Die Anbringung auf dem Geländer der Erftbrücke ist von der Stadt Grevenbroich genehmigt.
Auch wenn noch kein Archäologe einen Spaten angesetzt hat, wir gehen von der „Echtheit“ unserer Motte aus. Vielleicht lassen sich mit vorsondierenden Untersuchungen wie Bodenradar Anhaltspunkte für eine spätere weitergehende Untersuchung finden. Eine Aufgabe für die kommende Zeit?
Das Markieren ist für den Verein Historisches Wevelinghoven e. V. Programm und es soll auch weitergehen.
Burgwüstung im „Stadtpark Wevelinghoven“
Im „Stadtpark Wevelinghoven“ am Hemmerdener Weg und Erft westlich der „Burg“ liegt ein erkennbarer Hügel unter Bäumen und Sträuchern. Hier liegt das Bodendenkmal Nr. 1. der städtischen Denkmalliste, bezeichnet als Burgwüstung.
Ob da auch mal ein Mottenhügel war, können wir heute nicht sagen. Aber daß sich dort Gebäude beträchtlichen Ausmaßes befanden, wissen wir aus alten Karten und Plänen und auch aus Chroniken.
Dass dort ein ansehnliches Schloss gestanden hat, beweist uns ein Gemälde von „Schloß Wevelinghoven“ aus dem Besitz der Grafen von Bentheim auf Schloß Hohenlimburg. Wir haben es bei unserer Exkursion 2016 entdeckt und sind gespannt, mehr darüber zu erfahren.
Auf jeden Fall wollen wir es markieren, vorab gewissermaßen provisorisch. Wir haben dazu mit dem Leiter des Kreisarchives, Dr. Stephen Schröder, Kontakt aufgenommen.
Das hat Dimension und kann nur fachmännisch angegangen werden, wenn Ergebnisse sicher sein und qualifiziert dokumentiert werden sollen.
Theo Hoer Bm. a. D.
im Mai 2019